Im Blickpunkt

Wie Battlefield 5 einen Antifaschisten zum Nazi macht: Der seltsame Fall des Wilhelm Franke

Wilhelm Franke war ein Dresdner Widerstandskämpfer. Wilhelm Franke war aber auch ein ranghoher Nazi-General und überzeugter Faschist. Wie passt das zusammen?

Wilhelm Franke leistete Widerstand gegen die Nazis: Jahrelang stellte er seinen Zigarrenladen in Dresden Antifaschisten und Widerstandskämpfern als geheimen Treffpunkt zur Verfügung, bis ihn die Gestapo schließlich verhaftete. Noch heute ehrt ihn die Stadt als mutigen Demokraten. Doch seit einigen Tagen kennen hunderttausende Menschen eine ganz andere Seite von Wilhelm Franke: Die eines gewissenlosen Nazi-Generals, der wehrlose Soldaten exekutierte und seinen Opfern beim Sterben zusah. Ein durch und durch ergebener Anhänger des Nationalsozialismus.

Wie passt das zusammen?

Ein Leben für die demokratischen Grundwerte

Wilhelm Franke war Sozialdemokrat, Antifaschist und Widerstandskämpfer: Geboren im Jahr 1891, trat er als 28-Jähriger der Dresdner SPD bei, kurz darauf folgt der Posten als Vorstandsmitglied der städtischen Volkshochschule. Der engagierte Lehrer unterrichtet seine SchülerInnen über die Werte der Demokratie, der sozialen Gemeinschaft, des Miteinanders. Schließlich tritt Franke in die demokratische Selbstschutzorganisation Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold ein und knüpft weit über die Grenzen Dresdens hinaus Kontakte zu Gleichgesinnten.

Als die Nazis 1933 die Macht ergreifen, beginnt für Wilhelm Franke ein neues Leben: Die Faschisten entfernen ihn aus dem Schuldienst und verbieten ihm die weitere Ausübung seines Berufes. Statt sich aber aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen, eröffnet er mit seiner Frau ein Zigarrengeschäft im Herzen Dresdens, das zum wichtigsten, geheimen Treffpunkt der Dresdner SPD-Genossen avanciert. Spätestens ab diesem Zeitpunkt befindet sich Wilhelm Franke, seine Frau und Freunde im Widerstand gegen das Nazi-Regime.

1945 kommen Wilhelm Franke und seine Familie während eines Luftangriffs auf Dresden ums Leben.

1944 fliegt der geheime Treffpunkt auf: Die Gestapo stürmt das Zigarrengeschäft, verhaftet Franke und schließt den Laden. Fast ein Jahr lang sitzt der erklärte Antifaschist im Gefängnis. Am 14. Februar 1945 kommen er und seine Familie während der Luftangriffe auf Dresden ums Leben – wenige Monate vor Ende des Krieges.

Für Menschen wie Wilhelm Franke haben unsere Geschichtsbücher, die ihre Seiten für große, einflussreiche Namen reservieren, nur selten Platz. In Dresden hingegen hat der antifaschistische Lehrer tiefe Spuren im kollektiven Gedächtnis der Stadt hinterlassen, die bis heute sichtbar sind: Neben der Wilhelm-Franke-Straße erinnert ein großer Sandsteinblock nahe seiner ehemaligen Wirkungsstätte, der alten Dresdner Volkshochschule, an den Widerständler. Und seit einigen Tagen ist der Name von Wilhelm Franke schließlich auch ein Charakter in dem Weltkriegsshooter Battlefield 5  – nicht allerdings als wehrhafter Antifaschist, sondern bizarrerweise in der Uniform eines skrupellosen, gewissenlosen Nazi-Generals.

Der seltsame Fall des Wilhelm Franke

Knapp fünf Monate nach der Veröffentlichung von Battlefield 5 stellte Electronic Arts und DICE Entertainment die sogenannten Elitesoldaten vor: Generäle, Kriegshelden und Widerstandskämpfer, die mit einzigartiger Ausrüstung auf die Schlachtfelder des Zweiten Weltkriegs stürmen. Kurze Vorstellungsvideos charakterisieren die Figuren, die an popkulturelle Stereotypen angelehnt sind, wie etwa dem draufgängerischen Iren Seamus Byrne oder dem stoischen Nazi-Scharfschützen Ernst Schubert, der – natürlich – während des Gefechts die klassischen Kompositionen des Namensvettern summt.

Am 28. Mai erschien der vierte Charakter in dieser Reihe: Ein laut offizieller Beschreibung „skrupelloser Kämpfer“, der als hochdekorierter Nazi-General besonders gerne mit Sprengstoffen hantiert. Sein Vorstellungsvideo zeigt den kahlköpfigen, entstellten Mann im Gefecht gegen alliierte Truppen: Ungerührt und zielgenau nimmt er die feindlichen Soldaten mit einer Handfeuerwaffe ins Visier und unterbricht schließlich das Vorrücken seines Trupps, nur um einem seiner Opfer beim Todeskampf zusehen zu können. Der Name des Generals: Wilhelm Franke.

Battlefield 5 verrät uns nur wenig über die Hintergrundgeschichte dieses zweiten Wilhelm Franke. Geboren in Hamburg absolvierte er die Kriegsschule mit Spezialisierung auf Sprengstoffe. Die Maske, die er trägt, um schwere Verletzungen zu verbergen, deuten viele SpielerInnen als Hinweis auf einen Militärdienst im Ersten Weltkrieg, als Gesichtsprothesen und -Masken für Kriegsversehrte vermehrt zum Einsatz kamen. Biographische Parallelen zu dem historischen Wilhelm Franke gibt es keine.

Die Glaubwürdigkeit ist verspielt

Der erbarmungslose Nazi-General in Battlefield 5 trägt also den gleichen Namen wie ein stadtbekannter Dresdner Antifaschist. Es gibt nur zwei denkbare Möglichkeiten, wie es zu dieser unglücklichen Namensverwandtschaft kommen konnte: Entweder hat das Entwicklerteam nie geprüft, ob der Name für einen virtuellen Nazi-General möglicherweise schon von mit einer in diesem Kontext relevanten historischen Persönlichkeit verbunden ist oder dem Team fiel die Übereinstimmung auf, aber kümmerte sich nicht weiter darum. ArchaeoGames hat bei Electronic Arts um eine Stellungnahme und Erklärung gebeten, welche dieser Möglichkeiten zutrifft; geäußert hat sich bisher weder das Entwicklerteam DICE, noch die PR-Abteilung von Electronic Arts.

Unabhängig davon, wie Nazi-General Wilhelm Franke denn nun zu seinem Namen kam, steht eines aber fest: Die Entwickler haben ihre Glaubwürdigkeit verspielt, „true to history“ sein zu wollen und „voller Respekt mit der Geschichte umzugehen“, wie in Interviews und den sozialen Netzwerken immer wieder betont wurde. Ein Entwicklerteam, das Wert darauf legt, die Opfer des Zweiten Weltkriegs zu ehren, scheut sich nämlich nicht vor einer einfachen Google-Suche, ob der angedachte Name für einen spielbaren Nazi-General nicht möglicherweise die Erinnerung an einen Antifaschisten mit Füßen tritt. Aber genau das ist hier passiert.

UPDATE: Stellungnahme von Electronic Arts (05.06.19, 16:45 Uhr)

Einige Tage nach Erscheinen dieses Artikels hat Publisher Electronic Arts auf die Nachfrage von ArchaeoGames geantwortet, wie das Entwicklerteam mit der unglücklichen Namensvergabe des Wilhelm Franke umzugehen gedenkt. Hier die Stellungnahme im Original:

“We’ve become aware that one of the names of our Elites, Wilhelm Franke, shares the name of a real life resistance member in Germany during the Second World War. We want to apologize as we certainly didn’t mean any disrespect to him. We are in the process now of changing the name of our Elite in the game.”

Dirk Hilbert, der amtierende Bürgermeister von Dresden, begrüßt auf Nachfrage gegenüber ArchaeoGames die geplante Namensänderung von Wilhelm Franke.

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Dom Schott hat Archäologie studiert und schreibt heute als freier Journalist besonders gerne über spannende Online-Communities, Netzkultur und seine zwei Kater.

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